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Schlaglicht
Indien: Dem chinesischen Drachen auf den Fersen
Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank gingen schon länger davon aus, dass Indien bereits in ein oder zwei Jahren mit höheren Raten wachsen würde als China. Nun ging es schneller als erwartet. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres ist das indische Sozialprodukt um 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen und damit einen Tick stärker als das chinesische.
Zugegeben, die genannte Wachstumszahl dürfte auch durch statistische Effekte begünstigt sein. So hat das Statistikbüro des Landes zuletzt das Basisjahr, welches der Berechnung der preisbereinigten BIP-Steigerungsraten zugrunde liegt, angepasst – vom Fiskaljahr März 2004 bis März 2005 auf das entsprechende Jahr 2011/12. In diesem Zusammenhang war das Wachstum des Jahres 2013/14 merklich von 4,7 auf 6,9 Prozent nach oben revidiert worden.
Dennoch ist der Anstieg des indischen Sozialprodukts im vierten Quartal 2014 beachtlich, wurde das Land 2013 doch noch von einer Mini-Krise heimgesucht. Und der Wahlsieg von Narendra Modi im Mai des vergangenen Jahres verdankte sich ja nicht zuletzt der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der stotternden Wirtschaft. Immerhin steht das hohe Wachstum im letzten Vierteljahr 2014 nur in scheinbarem Widerspruch zu Meldungen über schleppende Autokäufe, eine schwache Kreditnachfrage, enttäuschende Umsatzerlöse großer Konzerne oder kaum mehr Steuereinnahmen. Denn die Inflationsrate ist deutlich gesunken. Sie ist heute nur noch halb so hoch wie früher, als sie regelmäßig über zehn Prozent lag. So geht die indische Statistikbehörde davon aus, dass die Wirtschaft des Landes im Fiskaljahr 2014/15 real um 7,4 Prozent gewachsen ist – und damit um einen halben Prozentpunkt mehr als im Jahr davor –, das nominale Wachstum sich aber von 13,6 auf 11,5 Prozent verringert hat.
Nach einem etwas holprigen Start treibt die Modi-Regierung ihr Reformprogramm weiter voran. Es braucht eine Entrümpelung des Dschungels an Bürokratie und Vorschriften (vor allem auf dem Arbeitsmarkt), eine moderne und verlässliche Stromversorgung oder eine Grunderwerb-Reform. Im Gegensatz zu Brasilien, Russland oder Südafrika sind die stark gesunkenen Rohstoffpreise ein Segen für das Land. Vier Fünftel seines Ölverbrauchs muss Indien importieren. Das Defizit in der Leistungsbilanz wird kleiner und die indische Rupie – die Landeswährung – ist vergleichsweise stabil. Der Aktienmarkt brummt. Die deutlich niedrigere Inflation hat es der indischen Notenbank erlaubt, ihren Leitzins zu senken. Insgesamt sind die Aussichten für Indien damit besser als für viele andere Schwellenländer. Schließlich gibt es ein enormes Aufholpotenzial. 2013 lag das indische Pro-Kopf-Einkommen erst bei 5.500 Dollar. In China waren es 11.900 und in Brasilien 15.000 Dollar.
Ihr Ansprechpartner:
Dr. Andreas Gontermann
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