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Schlaglicht
Globaler Wettbewerb um Industrieanteile
Die USA streben eine Re-Industrialisierung an. Die EU hat das Ziel, den Industrieanteil am BIP bis 2020 (von heute knapp 16) auf 20 Prozent zu steigern. Dabei geht es vor allem darum, den Anteil der Industriebeschäftigten an den gesamten Erwerbspersonen hoch zu halten bzw. auszuweiten. Wie ist das im internationalen Kontext einzuschätzen?
Rein empirisch ist festzustellen, dass die Produktivität im globalen Industriesektor deutlich schneller steigt, als die weltweite Nachfrage nach Industriegütern zunimmt. Man kennt das bereits aus der Landwirtschaft. 1950 brauchte es noch 45.000 Helfer, um in Kalifornien zwei Millionen Tonnen Tomaten zu ernten. Im Jahr 2000 schafften dann 5.000 Arbeiter bereits zwölf Millionen Tonnen. Entsprechend ist der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft an der Erwerbsbevölkerung der USA im Verlauf des 20. Jahrhunderts von 41 auf zwei Prozent gesunken. Der Anteil der Industriebeschäftigten ging seit 1950 von 24 auf achteinhalb Prozent zurück. Weil also das Produktivitätswachstum in der Industrie so überproportional hoch ist, kann die Zahl der Industriebeschäftigten weltweit auf Dauer (absolut und relativ) kaum zunehmen.
Bestrebungen in einzelnen Ländern bzw. Wirtschaftsräumen und -regionen, den Industrieanteil bzw. den Anteil der Beschäftigten im Industriesektor an allen Erwerbspersonen zu steigern, sind damit global betrachtet eher ein Nullsummenspiel. Strategien für mehr Industriejobs in einem Land gehen letztlich zu Lasten der Industriearbeitsplätze in anderen Ländern. Die Schwellenländer dürfte es hierbei vergleichsweise härter treffen.
Für den erfolgreichen Transformationsprozess einer Volkswirtschaft zur Dienstleistungsgesellschaft (einschließlich industrienaher Dienstleistungen) ist nämlich ganz entscheidend, auf welchem (Wohlstands-)Niveau er stattfindet. Die heute etablierten reichen Industrieländer haben diesen Übergang seinerzeit deshalb so gut bewerkstelligt, weil bei ihnen zunächst ein sehr leistungsfähiges, innovatives und international wettbewerbsfähiges Verarbeitendes Gewerbe gedeihen konnte, das gut ausgebildete, hoch qualifizierte und produktive Beschäftigte hervorgebracht hat, denen dann der Übertritt in den hochwertigen Dienstleistungsbereich reibungslos gelungen ist. Die heutigen Schwellenländer befinden sich allerdings noch (lange) nicht an diesem Punkt, vor allem diejenigen nicht, die in der Vergangenheit zu wenig diversifiziert und zu einseitig auf den Rohstoffsektor gesetzt haben. Für sie käme die De-Industrialisierung jetzt schlichtweg zu früh.
Das heißt aber eben auch: Den Entwicklungspfad, den die heute reichen Industrienationen einst genommen haben, werden die Schwellenländer so nicht wiederholen bzw. ohne weiteres kopieren können. Auch China dürfte den Weg Japans oder Taiwans kaum nachahmen. Entsprechend groß sind die systemischen Herausforderungen für die betreffenden Länder, den anstehenden Prozess zu managen.
Ihr Ansprechpartner:
Dr. Andreas Gontermann
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